Raghuram G. Rajan, Professor für Finanzen an der Booth School der University of Chicago und ehem. Gouverneur der Reserve Bank of India, hatte eine recht konkrete Vorstellung darüber, ob und wie stark eine Rezession in den USA kommen wird: Mit 55 Prozent belegte er die Wahrscheinlichkeit einer harten und mit 35 Prozent die einer weichen Landung; aber mit nur zehn Prozent einer tiefen anhaltenden Rezession. Die Wahrscheinlichkeit gar keiner Rezession kommt in dieser Rechnung ganz offensichtlich nicht vor. Erstaunlich ist für Rajan die bislang sehr robuste US-Wirtschaft. Das liegt, so der Professor, am starken Konsum der privaten Haushalte, die auf hohe Ersparnisse zurückgreifen können und von den starken Aktienmärkten der vergangenen Jahre profitieren. Zudem ist der Arbeitsmarkt stark – jeder, der will, bekommt Arbeit. Und: Die Unternehmen sind hochprofitabel, trotz gestiegener Finanzierungszinsen.
Doch er sieht Risiken. So könnten die Zinsen wie von der Fed angedeutet doch noch weiter steigen. Ein neuer Ölpreisschock könnte die harte Landung der US-Wirtschaft beschleunigen. Oder das Haushaltsdefizit: „Die Staatsausgaben sind außer Kontrolle“, mahnte Rajan, „das macht mir Sorge. Denn ich sehe, dass offenbar niemand sonst besorgt ist.“ Das gelte nicht nur für die USA, überall in der Welt steigen die Zinslasten der Staaten, was potenziell ihre Möglichkeiten einschränkt. Und er sieht den Trend zur De-Globalisierung, zu mehr Nationalismus und Protektionismus. 2012, rechnete er vor, wurden rund 250 neue Handelsbeschränkungen verhängt. 2022 waren es mit 2.500 zehnmal so viel. Die Prognosen des Internationalen Währungsfonds IWF für das globale Wachstum sind bei dieser Entwicklung verhalten, sie gehen seit Jahren stetig zurück.
China dürfte laut Rajan als künftige Lokomotive der Welt ausfallen, es gibt zu viele Baustellen, die das Tempo ausbremsen. „Das Wachstum in China war nicht nachhaltig“, sagt der Chicago-Ökonom. Zu viele Fehlinvestitionen, gerade im Bausektor. Zu wenig inländischer Konsum. Zu wenig Produktivitätswachstum. Erhebliche strukturelle Probleme bei der Demographie und auf dem Arbeitsmarkt. Schnell steigende Staatsverschuldung. Rajan fragte: „Wo soll Chinas Wachstum herkommen?“ Auch beim anderen Riesen Asiens, Indien, sieht Rajan Herausforderungen: Das Land wächst mit rund sechs Prozent. Der Fokus der Investitionen liegt aber nur auf der physischen Infrastruktur – laut Rajan ein Fehler: „Indien muss Humankapital bilden. Gesundheit, Ernährung, Bildung, das ist viel wichtiger.“ Dann könne Indiens Wirtschaft auch mit zehn Prozent wachsen.
Eine der abschließenden Fragen aus dem Publikum lautete, was er von den Plänen einer BRICS-Währung hält. Rajan war sich damit so sicher wie mit seiner Rezessionserwartung eingangs: „Es ist ganz nett, darüber zu sprechen. Aber ökonomisch ergibt das null Sinn.“
Interview mit Prof. Raghuram Rajan
Prof. Raghuram Rajan zeigt auf, wo sich heute schon die ersten Risse im Welthandel auftun. Er spricht über potenzielle Folgen eines Decoupling zwischen den USA und China. Und er ordnet die weltweite Verschuldung bei stark gestiegenen Zinsen ein.